Ewiges im Provisorium: Ein Buch zum Grundgesetz

Bücher sind beliebte Geburtstagsgeschenke, und wenn ich mir ein personifiziertes Grundgesetz vorstelle, eine rüstige 70jährige Constitutio, sehe ich sie fröhlich lächeln ob des Geschenkes, das der bloggende Philosoph und Christ Josef Bordat ihr macht. „Ewiges im Provisorium. Das Grundgesetz im Lichte des christlichen Glaubens“ ist für Menschen, die sich nicht von Berufs wegen mit Rechtsphilosophie beschäftigen, nicht eben leichte Bettlektüre, aber höchst lesenswert ist es auf jeden Fall.

Josef Bordat analysiert den Sinn des Gottesbezugs in der Präambel des Grundgesetzes: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“

Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert, jedes mit mehreren Unterkapiteln und einer Schlußfolgerung. Das Kapitel GRUNDLAGE ist eine Abhandlung über die Entwicklung des Naturrechts in Deutschland seit dem 17. Jh.; Bordat zeigt die besondere Problematik des so wichtigen wie nicht völlig definierbaren Begriffs der Menschenwürde. Er stellt klar, daß das „Kernproblem der Naturrechtsthematik, die Letztbegründung der Verbindlichkeit des Rechts“ bestehen bleibt, und auch, daß die Geschichte des 20. Jhs. zeigt, zu welchen Schrecknissen eine Entfernung vom Naturrechtsgedanken führt.

Im Kapitel GOTT stellt Bordat zunächst die ordnende, Regeln und Rechte schaffende Kraft der Religionen vor und zeigt den Gottesbezug in zahlreichen modernen Verfassungen. Er erklärt, wie nach der Nazidiktatur der Parlamentarische Rat für ein verbindliches Grundgesetz etwas „auch dem totalen staatlichen Zugriff entzogen“ Bleibendes brauchte, ein „ewiges, überpositives, rational nicht feststellbares Sein“. Mit dem Gottesbezug wurde klargestellt, daß jedes Rechtswesen Menschenwerk und damit fehleranfällig ist, daß es also auf eine absolute Größe rekurrieren muss, weil es selbst nicht absolut sein kann. Jedoch muss es absolute Einzelrechte geben (wie die im folgenden Kapitel abgehandelte WÜRDE), die sich einer absoluten, überweltlichen Größe verdanken. Ohne Gottesbezug ist die Menschenwürde nicht zu verteidigen. Auch das Gewissen ist nur auf dieser Grundlage als dem Staat entzogen und übergeordnet denkbar.

Das Kapitel LEBEN zeigt zunächst die biologische Definition von Leben (von lebensfähiger Zygote bis zum natürlichen Tod) und stellt klar: Menschliches Leben ist lt. Grundgesetz vom Staat zu achten und zu schützen, und zwar ausdrücklich in jedem Stadium. Hier behandelt Bordat ausführlich das Problem der Abtreibung. Der Schutz menschlichen Lebens ist ihm ein offensichtliches Anliegen, das er völlig unsentimental darlegt. Dabei hält er offenbar Strafen für ein ungeeignetes Mittel im Kampf gegen Abtreibungen, plädiert aber für Gewissensbildung. „Wünschenswert wäre es, daß Frauen und Männer zu dem Zeitpunkt eine Entscheidung treffen, zu dem Dritte noch nicht betroffen sind. Idealerweise ist das die Entscheidung für oder gegen Geschlechtsverkehr. Hier gilt in der Tat Selbstbestimmung und größtmögliche Freiheit.“ (Hervorhebung im Original)
Überraschend, doch bei genauem Nachdenken einsehbar ist hier, daß der engagierte Lebensrechtler zugleich das irrende Gewissen nicht strafwürdig ansieht. Er wünscht eine keinesfalls „ergebnisoffene“ Beratung bei Konfliktschwangerschaften, aber zugleich Toleranz bei den für das Kind tödlichen Entscheidungen, wenn nach einer umfassenden, sachlichen und lebensbejahenden Beratung ohne „Schein“ eine Frau immer noch die Abtreibung will. Dann „kann und soll, ja, dann muß man diese Entscheidung tolerieren, also: erdulden, erleiden, ertragen. Nicht: gutheißen, befördern, zur Norm selbst erheben. Aber: tolerieren. Etwas anderes gibt weder unsere Rechtsordnung noch die christliche Morallehre her. Letztere verpflichtet uns auf die Liebe. Und die wird sie brauchen, die Frau. Und auch der Vater des Kindes.“ (Hervorhebung im Original)

Das Kapitel FREIHEIT behandelt Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit, ihre Notwendigkeit und ihre Grenzen. Das folgende Kapitel KIRCHE räumt unaufgeregt und sachlich mit den gängigsten Vorurteilen gegenüber dem Verhältnis von Staat und Kirche auf.

Das abschließende Kapitel ZUKUNFT zeigt Staatsziele als Entwicklungsfeld auf und zeigt ihre Berechtigung, aber auch ihre Problematik, wenn sie zu Kompetenzüberschreitungen (besonders hinsichtlich der Kindererziehung) und Unübersichtlichkeit eines wachsenden Grundgesetzes führen.

„An der Menschenwürde, dem Lebensrecht und dem Prinzip der Freiheit darf niemals gerüttelt werden, dahinter geht es nie mehr zurück! Und: Dabei muß es bleiben – nicht nur in den nächsten siebzig Jahren.“

Ich habe das Buch mit Gewinn gelesen und kann es jedem empfehlen, der den Zusammenhang zwischen den großen kulturellen Gütern Religion und Recht besser verstehen will, sowie jedem, dem unser Grundgesetz am Herzen liegt – ob er den Gottesbezug in der Präambel nun selbst unterschreiben mag oder nicht. (Daß es ohne diesen Gottesbezug nicht mit der gleichen Verbindlichkeit Grundgesetz sein kann, erschließt sich dem aufmerksamen Leser am Ende hoffentlich von selbst.)

Josef Bordat: Ewiges im Provisorium. Das Grundgesetz im Lichte des christlichen Glaubens, 212 S., Lepanto Verlag, ISBN 978-3-942605-08-3.

Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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3 Antworten zu Ewiges im Provisorium: Ein Buch zum Grundgesetz

  1. akinom schreibt:

    „ Ewiges im Provisorium. Das Grundgesetz im Lichte des christlichen Glaubens,“Aus der Rezension von Bordats Buch lese ich eine Hommage auf Konrad Adenauer heraus, dem großen Europäer. Ich besitze einen Totenzettel von ihm, dessen Todestag sich am 19. April gejährt hat. Ob er sich im Grabe herumdreht angesichts eines fast unsichtbar gewordenen „Christlichen Abendlandes“ und einer als ökumenische Partei gegründeten CDU, in der schon Kardinal Meisner kein C mehr hat finden können? Die CDU war wirklich eine Alternative für Deutschland in der Zeit, als alle demokratischen Parteien, sich gleichermaßen scharf gegen Sch…braun und Blutrot abgegrenzt hatten. Und heute? Haben wir 30 Jahre nach dem Mauerfall und nach 70 Jahren Grundgesetz nicht eine rot-grüne sozialistische Einheitspartei mit dem Namen „Gegen Rechts“? Spiegelt sich das nicht so zu mindestens 90 Prozent in der Berichterstattung der Medien wieder?

    Ich freue mich über das mutige TROTZDEM von Josef Bordat. Immerhin gedenkt auch der CDU-Stadtverband Dülmen der Jubiläen von Grundgesetz und Mauerfall mit dem Festredner des langjährigen CDU Bundestagsabgeordneten Karl Schiewerling, den ich den ich noch aus seinen KKV-Zeiten in Essen kenne.

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  2. jobo72 schreibt:

    Liebe/r/s „Akinom“,

    „Hommage auf Konrad Adenauer“ – das greift zu kurz. So sehr ich Adenauer schätze, es geht doch etwas tiefer. Sollte zumindest. Sonst hätte ich das Ziel verfehlt.

    Aber das nur am Rande.

    >>Haben wir 30 Jahre nach dem Mauerfall und nach 70 Jahren Grundgesetz nicht eine rot-grüne sozialistische Einheitspartei mit dem Namen „Gegen Rechts“? Spiegelt sich das nicht so zu mindestens 90 Prozent in der Berichterstattung der Medien wieder?<<

    Lassen Sie mich diesen Gedanken aufgreifen.

    1. Wir haben heute im Bundestag ein Parteienspektrum wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – von rot über rosa bis zu schwarz und braun. Es gibt sechs Fraktionen und alles deutet darauf hin, dass dieses breite Spektrum uns noch eine Weile erhalten bleibt, weil die Parteien recht stabil zweistellig sind oder zumindest (Linke und FDP) deutlich über fünf Prozent liegen – welche Umfrage man auch heranzieht. Verschiebungen finden also nur geringfügig statt, hauptsächlich innerhalb der „Lager“. „Einheitspartei“? – Nein.

    2. Auch, wer die Debatten im Deutschen Bundestag verfolgt, wird kaum von einer „Einheitspartei“ sprechen können. Selten zuvor waren diese Debatten so kontrovers. Dass sich innerhalb der politischen Gremien oft eine Anti-AfD-Koalition herausbildet, mag den Eindruck erwecken, als stünde alles unter dem Paradigma eines Kampfes „Gegen Rechts“, wer allerdings genauer hinschaut entdeckt Zwischentöne und disparate Zielrichtungen. Ein Großteil der Union kämpft (historisch – damals noch als „Zentrum“ – wie aktuell) gegen totalitäre Vorstellungen der Gesellschaftsorganisation von links und rechts, weil diese dem christlichen Menschenbild widersprechen. – Dass sich demokratische Parteien in den Grundsätzen einig sind, finde ich übrigens weder überraschend noch schlimm. Seien wir doch froh, dass wir nicht mit jeder Wahl über die künftige Staatsform entscheiden oder sich diese mit dem jeweiligen Regierungschef ändert, wie das über Jahrzehnte in Lateinamerika der Fall war.

    3. Für die Medien muss ich Ihnen teilweise Recht geben. Journalisten – selbst solche, die für eher konservative Medien arbeiten – tendieren tatsächlich eher zu rot-grün als zu schwarz-gelb, wie Umfragen zeigen. Dennoch ist auch hier die Vielfalt nie größer gewesen. Zu Adenauers Zeiten gab es weder Privatfernsehen noch Internet. Es gab die Tageszeitung, das Radio und die ARD (wenn man sich einen Fernseher leisten konnte). Hier ist eher die Angebotsvielfalt ein Problem. Und auch hier: Öffentlich-rechtliche Medien müssen sich an dem messen lassen, was das Öffentliche Recht nun mal gebietet – und das ist eine demokratische Struktur und der Einsatz für Grundrechte. Das finden ich auch nicht schlimm, im Gegenteil: So kann man sie darauf festnageln. Und bei aller Medienkritik, die mir auch nicht fremd ist, sollten wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten: Ein Blick in andere Weltregionen zeigt, dass es bei uns in Deutschland echte Pressefreiheit gibt.

    Herzliche Grüße,
    Ihr
    Josef Bordat

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    • akinom schreibt:

      Ich muss zugeben: Ich habe auch einmal die AfD gewählt unter Lucke. Sie war damals hauptsächlich finanzpolitisch fokussiert. In einem Tagespostartikel wurde er später so zitiert: „Nicht ich habe mich von meiner Partei entfernt. Meine Partei hat sich von mir entfernt.“ Den Grund für die heute gewiss unwählbar gewordenen Partei sehe ich darin, dass sich Politik und Medien nie sachlich mit Politikern dieser „Schmuddelkinder“ auseinandergesetzt haben und sie und z.T. gewaltbereite Anhänger so immer mehr in Richtung Rechtsextremismus gedrängt haben. Das sehen offenbar viele Wähler auch so. Sie fühlen sich nicht ernst genommen. Und das wiederum hat der Demokratie m. E. sehr geschadet. In der Farbskala, Herr Bordat, „von rot über rosa bis zu schwarz und braun“ fehlt mir das klare Schwarz, das C in der heutigen CDU.

      Aber so neu ist das offenbar auch nicht. Als ich 1968 zur kältesten Zeit des Kalten Krieges während meiner Ausbildung in Berlin per Briefwahl „ mit schlechtem Gewissen noch soeben die CDU gewählt hatte“, schrieb mir mein Vater besorgt, ich solle mir meine „linksextremistischen Flausen aus dem Kopf schlagen“ .

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