Würde Freiheit Selbstbestimmung – ein Buch zum Lebensrecht

Der Philosoph, Blogger und Buchautor Josef Bordat ist bekannt für seine klare Position zum Schutz des menschlichen Lebens. Sein Buch „Würde Freiheit Selbstbestimmung. Konzepte der Lebensrechtsdebatte auf dem Prüfstand” behandelt das Thema in Form eines Essays, d.h. ohne wissenschaftlichen Apparat – das macht es leicht lesbar und schmal, ohne der Qualität Abbruch zu tun. Man kann Namen und Zitate leicht ergoogeln.

Würde, Freiheit, Selbstbestimmung sind für Organisationen der Sterbehilfe und in der Abtreibungsdebatte werbende Schlagwörter. Bordat beleuchtet die drei Wörter aus christlicher und philosophischer Sicht und zeigt, daß Sterbehelfer und Abtreibungskliniken sich mit fremden Federn schmücken, wenn sie diese Begriffe nutzen.

Zunächst legt er einen grundlegenden Denkfehler der Befürworter der Sterbehilfe dar: Würde wird dem Menschen nicht verliehen, er kann sie nicht gewinnen oder verlieren, sie ist ihm eigen – von Anfang bis Ende, Zeugung bis Tod. Definitionen, die die Würde von Umständen oder Fähigkeiten abhängig machen, sind nicht haltbar, weil Würde damit zu einer beliebigen Eigenschaft wird, die nicht mehr vom Gesetz geschützt werden kann.

Im Gegensatz dazu steht die Auffassung von Befürwortern der Sterbehilfe: Was Würde ist, bestimmt jeder für sich. Der Schutz der Würde jedes Menschen wird dadurch allerdings dem Gesetzgeber unmöglich gemacht – wie soll man etwas schützen, worunter jeder etwas anderes versteht? Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Erlauben der Sterbehilfe 2020 die Möglichkeit des gesetzlichen Schutzes der Würde nicht vermehrt, sondern verringert.

Der Autor geht in Exkursen auf Dilemma-Situationen ein, auf die immer wieder diskutierte Option der „Rettungsfolter“, auf die Todesstrafe und auf den Präferenzutilitarismus (all dies lehnt er ab als der Würde zuwiderlaufend). Was eine Würde hat, hat keinen Preis – das wird anschaulich erläutert durch die notwendigen Grenzen dieses Satzes: Lebensversicherungen müssen im Todesfall zahlen, um den Hinterbliebenen gerecht zu werden. Trotzdem kann es keine gerechte Bewertung eines Menschen in Geld geben.

Freiheit steht mit der Würde in einem Spannungsverhältnis, ergibt sich aus ihr und wird durch sie begrenzt. Bordat erläutert die Geschichte des Freiheitsbegriffs in kirchlicher Auffassung und erklärt, daß und warum die Freiheitsrechte in der christlich geprägten Welt besondere Bedeutung haben, „während in Fernost und in der vom Islam geprägten Hemisphäre zum Teil drastische Unfreiheit herrscht“. Besonders wichtig ist dem Philosophen Bordat die Bedingtheit der Freiheit durch Vernunft und Wissen (eine freie Entscheidung ist nicht möglich, wenn man über den Gegenstand der Entscheidung nicht gut informiert ist). Er erläutert, warum die neurowissenschaftliche Ablehnung der Willensfreiheit problematisch bis irrelevant ist. Jedoch ist Freiheit immer bedingt – notwendigerweise, weil eine absolute Freiheit uns überfordern würde. Schließlich legt er die christliche Freiheit dar als „bewußte Bindung des Menschen an Gott“ und Befreiung aus der Sklaverei der Sünde. Im folgenden Exkurs über Aufklärung, Sklaverei und Rassismus wird dargelegt, daß namhafte Philosophen der Aufklärung Rassisten waren und dadurch der Sklaverei Vorschub leisteten. Erst das evangelikale Christentum der USA wandte sich gegen die Sklaverei (die Päpste folgten mit großer Verspätung). Bindung an und Liebe zu Gott führt nicht nur in die eigene innere Freiheit, sie lassen auch die innere und äußere Freiheit des anderen erkämpfen und unterstützen.

Zur Gewissensfreiheit erläutert Bordat, was ein vernünftig gebildetes Gewissen ist und warum es wichtig ist, ein solches zu haben: „Das Gewissen ist die höchste Instanz der Entscheidung, aber es kann irren.“ Das wird besonders deutlich in der Debatte um Abtreibung. Gewissensbildung, nicht Strafandrohung, ist notwendig, um das Unrecht der Abtreibung als solches erkennbar zu machen. Wo dies aber nicht gelingt, wo eine Frau sich trotz Darlegung der Tatsachen und sinnvollen Hilfsangeboten zur Tötung ihres ungeborenen Kindes entscheidet, muss man auch diese Entscheidung „Nicht gutheißen, befördern, zur Norm selbst erheben, aber doch – tolerieren“ und der Frau weiterhin Liebe anbieten, denn „die wird sie brauchen, die Frau. Und auch der Vater des Kindes“. Auch das irrende Gewissen wird hier geachtet – bei aller Trauer um die Folgen seines Irrtums. Weiter geht es um den Gewissenskonflikt des Arztes, der eine Abtreibung aus Gewissensgründen verweigert und damit vielen bestenfalls als Sonderling gilt. Wo Überlegungen laut werden, die Arbeitsstelle an die Bereitschaft zum Abtreiben zu knüpfen, wird mit der Gewissensfreiheit die ganze freiheitliche Gesellschaft bedroht.

Im Fall der Suizidalität schließt Bordat die Möglichkeit einer freien Entscheidung aus. Ein Mensch, der seinem Leben ein Ende setzen will, ist eben nicht frei, sondern befindet sich in einer durchaus unfreien Extremsituation. Hier von einer souveränen Entscheidung zu sprechen, ist zynisch. Ich kann dem Autor hier von ganzem Herzen zustimmen, da ich sowohl erhebliche und langwierige Schmerzen als auch Depressionen aus eigener (glücklicherweise längst vergangener) Erfahrung kenne. Selbstmordgedanken haben mit Freiheit soviel zu tun wie ein Hamsterrad.

Der letzte, kurze Teil über die Selbstbestimmung orientiert sich stark an Immanuel Kant, der „dem Menschen die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung zugestanden und diese auch normativ eingefordert“ hat. Kant traut dem Menschen eine moralische Selbstprüfung zu und fordert sie auch. Dennoch kann sich das vom Bundesverfassungsgericht postulierte „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ nicht auf Kant berufen, der in der Selbsttötung eine Verletzung der moralischen Pflicht sah und von einer „Lebenspflicht“ sprach. In der Selbsttötung bringt der Mensch sich um seine Würde, die doch unverfügbar ist. Und auch die Würde dessen, der dabei assistiert, wird verletzt. Evangelische und katholische Kirche sind sich einig: Der Selbstmörder muss in seiner Person samt irrendem Gewissen respektiert werden, der Selbstmord darf nicht gebilligt werden.

Die möglichen und tatsächlichen Folgen eines Rechts auf Selbsttötung schildert Bordat ohne jedes Pathos eindrücklich. Dabei geht er nicht nur auf die unmittelbaren Folgen ein z.B. für Ärzte, die einer Selbsttötung nicht assistieren wollen, sondern zeigt auch in einem Exkurs, wie eng vernetzt alle Menschen sind – unser Handeln betrifft immer auch Dritte, die wir nicht kennen. Auch eine Rechtfertigungspflicht für Schwerkranke und Pflegende bahnt sich dadurch an, wenn sie ganz unverständlicherweise weiterleben und lebenlassen wollen. „Selbstbestimmung ist verkappte Fremdbestimmung“, wie Eberhard Schockenhoff sagt und Josef Bordat beweist.

Das Buch ist keine ganz leichte Lektüre, aber in klarer und schöner Sprache geschrieben, ohne überflüssigen Fachjargon und zum Mitdenken anregend. Bordat erklärt und analysiert genau und verflacht nichts. Er bezieht sich auf Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart – teils zustimmend, teils ablehnend. Er stellt verschiedene Denkweisen sachlich vor und stellt ihnen die am Christentum (besonders dem katholischer Prägung) orientierten Denkweisen gegenüber. Das ist sachlich und unaufgeregt und doch zielbewußt – er lässt den Leser verstehen, warum die katholische Position zum Lebensrecht sinnvoll ist.

Auch ich möchte so selbstbestimmt wie möglich sterben. Das heißt, ich möchte nicht von einer zunehmend herzlosen und paternalistischen Gesellschaft zum Selbstmord gedrängt werden, wenn es unbequem und teuer wird, mich am Leben zu halten. Ich empfehle dringend die Lektüre dieses Buches.

Josef Bordat: Würde Freiheit Selbstbestimmung. Konzepte der Lebensrechtsdebatte auf dem Prüfstand, tredition 2020

Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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