Rassismus kann nicht gerechtfertigt werden!

Auch nicht, wenn er sich gegen Menschen richtet, die unmoralisch, dumm oder böse handeln.

Fall 1: Eine Frau indischer Abstammung geht mit Kinderwagen und Hund im Park spazieren. Sie stürzt, sie selbst und das Kind werden (zum Glück nur leicht) verletzt. Sie geht erst nach Haus, ruft aber dann die Polizei und sagt aus, ein Radfahrer habe sie von hinten gestoßen und rassistisch beleidigt. Eine regionale Zeitung berichtet darüber.

Auf Facebook tummeln sich die Kommentatoren übelster Sorte. Das sei ja wahrscheinlich gar nicht wahr. Und wer es denn bezeugen könne. Und man wisse ja, wie oft solche Leute Falschaussagen machen. Ein besonders unterbelichteter Kommentator hat überhaupt nur mitbekommen, dass eine Frau durch einen Mann verletzt wurde und irgendwas mit indischer Herkunft, und gibt zum Besten, man sehe ja, wie diese Leute hier mit unseren Frauen umspringen. (Ich zitiere alles aus dem Gedächtnis, weil mir die Nerven fehlen, noch mal genau nachzuschauen. Aber mein Gedächtnis ist so schlecht nicht. Ich habe den Diskussionsverlauf mehrmals gelesen.)

Mehrere Kommentatoren behaupten, von hinten könne man ja gar nicht sehen, welche Hautfarbe jemand habe, und also könne das nicht stimmen. Ich weise darauf hin, dass auch dunkelhäutige Menschen Hälse und Hände haben.

Am nächsten Tag melden mehrere Zeitungen: Die Polizei hat ermittelt. Eine ältere Dame, die der Frau nach dem Sturz aufgeholfen hat, hat ausgesagt: Da war kein Radfahrer, vielmehr hat der Hund so am Kinderwagen gezerrt, dass der umgefallen ist, die Mutter ist ebenfalls gestürzt, vielleicht beim Versuch, Kind und Hund festzuhalten. Sie hat sich diese ganze Geschichte ausgedacht. Warum, weiß noch keiner.

Und nun geht es richtig ab bei den Herren und Damen Rassisten. Da sieht man mal wieder. Und man hat es ja gleich gewusst, nichts als Lügen. (Nein, man hat es nicht gewusst. Man hat es angenommen, weil man immer und überall, wenn irgendein „fremd“ wirkender Mensch in irgendetwas verwickelt ist, von dessen Schuld ausgeht. Das heißt, man nimmt von den meisten Menschen anderer Hautfarbe erst einmal das Schlimmste an, und wenn es sich dann bei einem ausnahmsweise mal bestätigt, klopft man sich auf die Schulter ob seiner Weitsicht. Wenn man Rassist ist.)

Ist Rassismus denn richtig, wenn er die Schlimmen trifft? Nein. Was diese Frau getan hat, war töricht, was mich nicht davon abhält, ihr und ihrem Kind alles Gute zu wünschen. Das Vortäuschen einer Straftat ist selbst eine Straftat, und generell bringen Lügen in aller Regel nur Unglück, auch und besonders dem, der sie ausspricht.

Das rechtfertigt keinen Rassismus. Die Baader-Meinhof-Bande macht nicht alle Deutschen zu linken Terroristen, der NSU macht nicht alle Deutschen zu rechtsradikalen Terroristen, das massenhafte Auftreten von deutschen Rassisten auf Facebook macht nicht alle Deutschen zu dumpfen Dolmen, und die Tatsache, dass es auch unter Menschen indischer Abstammung solche gibt, die irgendwann in ihrem Leben etwas Dummes und Schlechtes tun, sagt absolut nichts über die Inder.

Fall 2: Die Tagespost berichtet, dass in Syrien Massaker an Alawiten stattfinden. Die Kommentatoren überschlagen sich mit Aussagen, denen zufolge die Alawiten nun samt und sonders mit offener Hose und gezücktem Messer nach Deutschland strömen. Mir wird unterstellt, kein Mitleid mit Vergewaltigungsopfern zu haben, aus keinem anderen Grund als dem, dass ich Mitleid mit den Opfern von Massakern habe. Der Kommentator, der mir mit dieser Unterstellung kam, schrieb unter anderem, jene Vorgänge seien unwichtig für Deutschland, und für Deutschland sei das einzig Wichtige jetzt die Remigration. (Es hat mich in den Fingern gejuckt, ihm die Remigration nahezulegen, da sein Name eher angelsächsisch als deutsch klingt. Ich habe ihn aber dann doch lieber blockiert, das ist besser für meine Seele.)

Der Prozentsatz an Sündern, bezogen auf die gesamte Menschheit in jedem Zeitalter, beträgt 100%. Fast jeder erwachsene Mensch hat bereits mehrmals bewusst und willentlich einem anderen geschadet. Sicher, die häufigsten Sünden rangieren zwischen Nickeligkeiten gegenüber dem Nachbarn, Tratsch, Fremdgehen und Steuerhinterziehung (und das ist alles übel). Es sind gerade solche Taten, bei denen die Täter sehr gern denken, das sei ja nur einmal und nicht so schlimm, und andere sind viel übler, und deshalb sind sie nicht auf solche Sachen wie Vergebung und Barmherzigkeit angewiesen.

Aber Vergewaltigung, Körperverletzung, Mord! Darum geht es doch, sagen mir die Herren und Damen Rassisten jetzt. (Auch wenn in keinem der beiden genannten, so ausführlich rassistisch kommentierten Artikel die Kriminalitätsrate in Deutschland das Thema war.)

Wie bereits angedeutet, ist Gewalttat kein Proprium Zugewanderter mit dunkler Hautfarbe. Auch in jüngster Geschichte vergewaltigen, prügeln und morden in Deutschland auch (und sicher vorwiegend) Deutsche ohne Migrationshintergrund, wie auch Rassisten wissen könnten, wenn sie es wissen wollten. Insgesamt ist Deutschland allerdings ein Land mit sehr geringer Mordrate. Das ist für jeden einzelnen Ermordeten und seine Angehörigen und Freunde herzlich egal, aber man sollte es sich schon mal vor Augen halten, dass man in Deutschland mit einer Tötungsrate¹ von 0,8 recht sicher lebt. Wer in einem Land mit Tötungsrate Null leben möchte, kann entweder daran arbeiten, seine eigene Heimat zu einem solchen Land zu machen, oder umziehen. Zur Auswahl stehen Amerikanisch-Samoa, Monaco, Montserrat, Tuvalu und Vatikanstadt.

Ich sagte oben, Rassismus ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn er sich gegen Menschen richtet, die unmoralisch, dumm oder böse handeln. Das hat damit zu tun, dass Rassismus immer, ohne jede Ausnahme, unmoralisch, dumm und böse ist.

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  1. Tötungsrate ist die Anzahl der Tötungsdelikte je 100.000 Menschen und Jahr. Nicht erfasst werden in der Tötungsrate:

alle kriegerischen oder kriegsähnlichen Handlungen,
tödliche Verletzungen im Zusammenhang mit hoheitlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit
Abtreibung
Suizide einschließlich aktiver Sterbehilfe
Fahrlässige Tötung sowie
Notwehr mit Todesfolge.

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About Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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