Gertrud Kolmar – In meinem Schoße ruht das Beil

Die expressionistische Dichterin Gertrud Käthe Chodziesner – mit Künstlernamen Gertrud Kolmar – stammte aus gutbürgerlichem jüdischen Hause. Mit Anfang 20 hatte sie eine Affäre mit dem Offizier Karl Jodel und wurde schwanger. 

Die Familie drängte sie zur Abtreibung  – allerdings tat der saubere Geliebte nichts dagegen.  Er ließ sie sitzen (und weiteres lässt sich über ihn nicht herausfinden). Sie schrieb:

Die Verlassene

An K.J.

Du irrst dich. Glaubst du, daß du fern bist
Und daß ich dürste und dich nicht mehr finden kann?
Ich fasse dich mit meinen Augen an,
Mit diesen Augen, deren jedes finster und ein Stern ist.

Ich zieh dich unter dieses Lid
Und schließ es zu und du bist ganz darinnen.
Wie willst du gehn aus meinen Sinnen,
Dem Jägergarn, dem nie ein Wild entflieht?

Du läßt mich nicht aus deiner Hand mehr fallen
Wie einen welken Strauß,
Der auf die Straße niederweht, vorm Haus
Zertreten und bestäubt von allen.

Ich hab dich liebgehabt. So lieb.
Ich habe so geweint … mit heißen Bitten …
Und liebe dich noch mehr, weil ich um dich gelitten,
Als deine Feder keinen Brief, mir keinen Brief mehr schrieb.

Ich nannte Freund und Herr und Leuchtturmwächter
Auf schmalem Inselstrich,
Den Gärtner meines Früchtegartens dich,
Und waren tausend weiser, keiner war gerechter.

Ich spürte kaum, daß mir der Hafen brach,
Der meine Jugend hielt – und kleine Sonnen,
Daß sie vertropft, in Sand verronnen.
Ich stand und sah dir nach.

Dein Durchgang blieb in meinen Tagen,
Wie Wohlgeruch in einem Kleide hängt,
Den es nicht kennt, nicht rechnet, nur empfängt,
Um immer ihn zu tragen.

Gertrud Kolmar liebte und wollte das Kind, auch wenn sie Scham und Angst empfand und zeitweise an Selbstmord dachte. Wie sehr sie sich über das Kind freute und es in Gedanken schon aufwachsen sah, geht aus ihrem Zyklus „Mutter und Kind“ hervor. Ihre Dichtung ist hier noch konventionell, lässt aber schon ihr großes Talent erkennen und noch mehr ihre große Liebe.

Wiegenlied

Schlafe wohl unter dem silbernen Schild,
Unter der rotroten Rose!
Sanft scheint der Mond, und das Sternlein glänzt mild –
Weich ist dein Bettchen im Moose.
:, : Abendwind,
Wieg‘ ein mein Kind,
Meine süße, dunkle Rose! :, :

Schmetterling gaukelt durchs Schattenblau,
Zitternd duftet der Flieder,
Rings säet glitzernde Perlen der Tau,
Nachtigall singt ihre Lieder.
:, : Vögelein,
Sing‘ ein, sing‘ ein
Die lieblichen, jungen Glieder! :, :

Träume entfliehn, und Gedanken gehn,
Zahllos und klar wie die Sterne.
Mag, was mir nah‘, auch im Düster verwehn,
Licht bleibt doch ewig die Ferne!
:, : Guckäuglein,
Nun schließt euch fein,
Meine lieben, schwarzen Sterne! :, :

Die Abtreibung traumatisierte sie. Dies Trauma und die Trauer um ihr Kind verarbeitete sie über ein Jahrzehnt später in dem Gedichtzyklus „Mein Kind„.

Mörder

Die Mörder gehen in der Welt herum.
Die ganze Nacht, o Gott, die ganze Nacht!
Sie suchen dieses Kind, das in mir angefacht
So wie ein Licht, erscheinend, mild und stumm.

Sie wollen es doch löschen. Wie ein Schattenquellen
Entrinnen sie aus winkligem Gebäu,
Wie magre Katzen, die sich scheu
Hinducken über ausgetretne Schwellen.

Und ich bin an mein Bett geschweißt
Mit dürrer Kette, die der Rost zerfrißt
Und die doch schwer und gänzlich ohne Mitleid ist,
Nur eiternde Geschwulst aus meinen Armen beißt.

Der Mörder kommt ja schon. Er trägt den Hut,
Einen breiten Hut mit Turmkopf, ungeheuer;
Am Kinn sproßt kleines gelbes Feuer.
Es tanzt auf meinem Leib; es ist sehr gut …

Die große Nase schnüffelt, längert sich
Zu dünnem Rüssel. Wie ein Faden.
Aus seinen Fingernägeln kriechen Maden
Wie Safran, fallen auch auf mich.

In Haar und Augen. Und der Rüssel tastet
Auf meine Brüste, nach den rosabraunen Warzen.
Ich seh‘ ihn weißlich fleischlich winden sich im Schwarzen,
Und etwas sinkt an mich und keucht und lastet –

Ich kann nicht mehr … ich kann nicht … Laß die Schneide
schlagen
Als einen Zahn, der aus dem Himmel blitzt!
Zerstoße mich! Da wo der Tropfen spritzt:
Hörst du ihn »Liebe Mutter« sagen?

Hörst du – ? O still. In meinem Schoße ruht das Beil.
Von seinen Seiten brechen eibenhaft zwei Flammen;
Sie grüßen sich und falten sich zusammen:
Mein Kind. Aus dunkelgrüner Bronze, ernst und steil.

Im März 1943 wurde die Jüdin Gertrud Kolmar nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Im Gegensatz zu ihren kaisertreuen, bürgerlichen Eltern hatte sie den Antisemitismus schon früh wahrgenommen. Bereits 1933 hatte sie geschrieben:

Im Lager

Die hier umhergehn, sind nur Leiber
Und haben keine Seele mehr,
Sind Namen nur im Buch der Schreiber,
Gefangne: Männer. Knaben. Weiber.
Und ihre Augen starren leer (schwer)

Mit bröckelndem, fallnem Schauen
Auf Stunden, da in düstrem Loch
Gewürgt, zertrampelt, blindgehauen
Ihr Qualgeächz, ihr Wahnsinnsgrauen,
Ein Tier, auf Händ und Füßen kroch …

Sie tragen Ohren noch und hören
Doch nimmermehr den eignen Schrei.
Die Kerker drücken ein, zerstören:
Kein Herz, kein Herz mehr zum Empören!
Der feine Wecker schrillt entzwei.

Sie mühn sich blöde, grau, entartet,
Von buntem Menschensein getrennt,
Stehn, abgestempelt und zerschartet,
Wie Schlachtvieh auf den Metzger wartet
Und dumpf noch Trog und Hürde kennt.

Nur Angst, nur Schauder in den Mienen,
Wenn nachts ein Schuß das Opfer greift …
Und keinem ist der Mann erschienen,
Der schweigend mitten unter ihnen
Ein kahles Kreuz zur Richtstatt schleift. –

Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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