Der Rassismus der Guten

Ein temporäres Denkmal in Berlin zeigt einen Bücherstapel mit berühmten Namen der deutschen Literatur. Fast nur Männer!

Hannah Arendt und Anna Seghers sind dabei.  Sonst keine Frau.  Goethe und Schiller,  aber keine Annette von Droste-Hülshoff (die dichterisch weit Größeres geleistet hat als der „Dichterfürst“).

Ich erwähnte den Namen Kaléko in der Diskussion, und darauf folgte ein bizarrer Schlagabtausch mit einer Frau aus Albanien.

Albanierin: Mascha Kaleko war eine jüdische-polnische Poet!
Wie können Sie als deutsche sie bezeichnen?

Ich: Kaléko schrieb auf deutsch.  Ihre Sprache war deutsch,  in einigen ihrer Gedichte Berliner Dialekt. Denn sie war zwar in Österreich-Ungarn (nicht Polen) geboren,  aber bereits als Kind nach Deutschland gezogen.
Daß sie Jüdin war, macht sie nicht weniger deutsch. Eine Religion ist etwas anderes als eine Sprache. 
Ich habe sie übrigens
nicht „als Deutsche bezeichnet“, ich habe nur erwähnt,  daß sie in einem Turm deutschsprachiger Dichter fehlt. Ob sie einen deutschen Pass hatte, ist dabei völlig egal.
Nur Rassisten und Antisemiten machen da Unterschiede.

Albanierin: ah ja!
Falsch!
Sie haben mich als Rassistin bezechnet?
Ja, wenn so wäre, wäre auch H.Heine nicht als deutsche Dichter!
Nun, war sie nicht eine deutsche und soll dann als mayar genannt werden, oder auch jüdisch, aber als deutsche viel weniger… obwohl sie eine tolle Dichterin war!
Schönen Tag!

Ich: ich habe Sie nicht als Rassisten bezeichnet, sondern darauf hingewiesen, dass nur Rassisten verbieten, deutschsprachige Dichter zu deutschsprachigen Dichtern zu zählen, weil sie woanders geboren wurden.
Tatsächlich ging es mir ausschließlich darum, dass Mascha Kaléko in einem Turm mit deutschsprachigen Dichtern fehlt. Das wollen Sie mir verbieten, mit dem Argument, daß sie nicht deutscher Herkunft und zudem Jüdin war. Aber natürlich sind Sie ganz und gar nicht Rassist oder Antisemit, woher denn, ganz bestimmt nicht.

Nach einigem Nachdenken sage ich hier: Doch, die Dame aus Albanien ist rassistisch, und sie ist antisemitisch. Sie will das nicht,  was für sie spricht,  aber sie ist es, ohne sich darüber klar zu sein.

In dem Augenblick,  wo ich über einen deutschsprachigen Dichter (generisches Maskulinum) sage, man dürfe ihn nicht einfach zu den deutschen Dichtern zählen,  da 1. Jude und 2. nicht in Deutschland geboren,  bin ich Antisemit und Rassist. Eine Religion ist kein Land,  eine Sprache kein Geburtsort.  So einfach ist das.

Ich gehe davon aus, daß es unter den „Guten“, die Kaléko lesen und gegen Ausgrenzung sind, massenhaft derartige Formen eines „positiven Antisemitismus“ und „positiven Rassismus“ gibt. Mir sind sie jedenfalls schon zum Überdruss begegnet.

Selbstverständlich ist Kalékos Biographie und Religion bedeutsam für ihr Werk. Das ist eine banale Aussage,  denn biographische und weltanschauliche bzw. religiöse Daten sind für jeden Menschen bedeutsam und schlagen sich im Werk jedes Künstlers nieder.

Ich „als Deutsche“, als Liebhaberin der deutschen Sprache und Literatur,  bin glücklich,  Mascha Kaléko im Original lesen zu können. Zitieren kann ich sie hier nicht, nur verlinken, da die Rechte an ihrem Werk noch nicht frei sind, ich empfehle aber allen,  sich wenigstens „Das himmelgraue Poesiealbum“ und „In meinen Träumen läutet es Sturm“ zuzulegen.

Und bitte, legt sie nicht nur auf einen Stapel.  Lest sie. Auf deutsch, denn das ist ihre Sprache.

Avatar von Unbekannt

About Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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1 Response to Der Rassismus der Guten

  1. Avatar von Xeniana Xeniana sagt:

    Kaleko begleitet mich seit Jahren. Das sind so besondere Gedichte

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