Ich sehe ein Photo von zwei Männern, einem mittleren Alters und einem sehr alten, beide in Mönchshabit, die an einem See spazierengehen. Der alte sitzt im Rollstuhl, der andere schiebt.
Die Kommentare überschlagen sich, wie besonders das ist, was für eine Nächstenliebe, wie liebevoll und so weiter. Und irgendetwas stört mich an diesen Kommentaren. Das Bild ist wirklich schön und friedlich. Aber…
Ich finde es nicht „besonders“. Ich finde es normal. Wenn man gemeinsam in einer Familie oder Wohngemeinschaft oder einem Kloster lebt, oder wenn man irgendwie befreundet ist, dann geht man gerne ein Stück zusammen. Und wenn einer im Rollstuhl sitzt und der andere nicht, wird der andere in der Regel schieben.
Ich habe meine Mutter hunderte von Kilometern geschoben, durch Städte, Museen, Parks, Landschaft. Nicht, weil ich so wunderbar bin (bin ich nicht) und nicht, weil sie schließlich meine Mutter war und ich das „musste“, sondern weil ich sie lieb hatte und weil ich auch sehr gerne spazieren ging. Über so hehre Sachen wie Nächstenliebe habe ich mir dabei nie Gedanken gemacht. Wir wären auch gemeinsam unterwegs gewesen, wenn sie zu Fuß gegangen wäre.
Die beiden Mönche sind, wie aus dem Text zum Bild hervorgeht, seit langem miteinander bekannt, schätzen einander und unterhalten sich gern. Sie gehen auch gern gemeinsam um einen kleinen See.
Wenn man das nur noch als einen Akt der Nächstenliebe des Jungen gegenüber dem Alten versteht, wird der alte Mann degradiert zu einem, der nur noch empfangen kann. Aber davon ist in dem Text zum Bild nicht die Rede.
Nächstenliebe ist etwas Wunderbares. Aber die Überhöhung jedes Freundschaftsdienstes zu einem Akt der Nächstenliebe wird weder Geber noch Empfänger gerecht. Die Geselligkeit, in der jeder gibt und jeder empfängt, wird durch solche Überhöhung zu etwas gemacht, wo einer nur gibt und der andere nur empfängt.



Es tut mir leid, aber ich stimme nicht zu. Das mag öfter vorkommen, aber in dem Fall tut es mir besonders leid, denn *emotional* stimme ich *voll* zu.
Sich überschlagende Lobpreisungen für was allenfalls ein bißchen Nettes, die (wenigstens bei uns nüchternen Deutschen) den Eindruck erwecken, man würde das eben zur ultimativen Heldentat aufmandeln… da bin ich völlig dabei, peinlich berührt zu sein.
Aber *sachlich* – stimmt’s eben: Es *ist* ein Akt der Nächstenliebe, was der da tut, und es *ist* mit einem *gewissen* Opfer verbunden. Einem kleinen, ja. Aber Opfer ist Opfer.
Es ist ja auch ein Akt der Nächstenliebe, wenn ich eine sympathische Kellnerin mit Namen begrüße und sie interessiert frage, wie es ihr und ihrem Kind geht. Kein großer, zweifellos, und (anders als das Schieben des Mitbruders im Rollstuhl) nicht einmal im *ganz* kleinen Sinn mit Opfer verbunden… ja natürlich denkt man mit Recht *eher* an Tugendakte, wenn es eine *Überwindung* kostet, weil jemand eben nicht sympathisch, weil er unangenehm, lästig ist, stinkt usw. oder aber man aber richtig viel in eine tiefe Freundschaft investiert und so. Das macht aber die alltäglich-banalen netten Dinge nicht zu Nichtigkeiten (d. h. außer in dem Sinn, in dem vor Gott alles und auch die Heldentaten nichtig ist, denn wir sind nur Staub; wir verstehen uns). Wenn man den Nächsten liebt, dann ist das Nächstenliebe. Natürlich bekommt man da meistens gleich was zurück – aber Hand aufs Herz, das tun wir bei den *großen* Opfern doch *auch*, selbst wenn’s erst im Himmel ist. (Und selbst da reichts häufig schon diesseitig zu einem inneren Schulterklopfer à la „das hast du ja nun doch halbwegs hingekriegt“.)
(Dagegen ist, wenn wir von *Barmherzigkeit* reden, wirklich dieses Gefälle von oben nach unten drin. Das ist klar. Nächstenliebe ist aber sehr gut „unter Gleichrangigen“ möglich.)
Und irgendwie scheint dieses etwas Überschwengliche bei den eigenen guten Taten übrigens zum katholischen Jargon zu gehören. Meiner wäre das ja, wie gesagt, *instinktiv* tatsächlich ebensowenig: „lerne leiden ohne zu klagen“, „das ist doch kein Beinbruch“, „und was sollen da Leut sagen, denen’s wirklich schlecht geht“, „ein Indianer kennt keinen Schmerz“, …: Aber vielleicht liegt ja *doch* eine gewisse geistliche Erfahrung darin, wenn Leute dann doch mal die dritte Scheibe Brot beim Frühstück weglassen, aber auch nur weil Fastenzeit ist, und dann aber gleich anfangen von „Abtötung“ zu sprechen. Und wenn sie auf durchaus lebensfroher Grundlage das, was unsereiner etwas umständlich als „Streben danach, daß die Vergnügungen nicht der *ganz* einzige Lebensinhalt sind, sondern der Herrgott den ersten Platz im Leben einnimmt, ohne dabei zu vergessen, daß Er uns tatsächlich sehr viel gönnt“ bezeichnet, kurz und bündig „geistlichen Kampf“ nennen. Es ist bis jetzt (zumindest wo ich aus dem Bauch heraus rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist) nicht mein Sprachgebrauch – auch der Bayer ist ein Deutscher, könnte man vielleicht sagen -; aber vielleicht wäre es das besser.
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Dank für diesen Kommentar, Nepomuk. Vom Gefühl her bleibe ich zwar bei dem, was ich geschrieben habe. Aber der Verstand findet Deine Einschätzung zumindest sehr bedenkenswert.
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Nicht ganz klar, was hier gesagt wird,
ist mir, kann‘s nicht deutlich seh’n.
Wer dabei vielleicht sich mehr irrt,
lass‘ ich einfach ‘mal so stehn.
Fühl‘ für N. kaum Nächstenliebe,
denn ich kenne ihn ja nicht,
und wenn ich den Rollstuhl schiebe,
ist es manches Mal aus Pflicht.
Auch bei bei mir war’n ‘s viele hundert
Kilometer, was mich wundert,
wenn ich‘s nachträglich berechne,
innerlich mit ihnen spreche:
Fremden, Freunden einst in Not.
Längst schon sind sie alle tot.
Selber nahe dran: http://hjcaspar.de/hpxp/gldateien/garten2.htm
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