Reißt Euch zusammen!

Menschen, die in medizinischer Hinsicht weit gebildeter sind als ich, sagen: In wenigen Wochen ist die Corona-Epidemie so gut wie vorbei. Andere, für die das ebenfalls gilt, sagen: Naja, vielleicht. Wieder andere mit gleichen Prämissen: Nö, keinesfalls.

Die wenigsten Menschen haben eine hohe medizinische Bildung mit dem Schwerpunkt Virologie. Alle anderen sind darauf angewiesen, Argumente anzuhören und nach eigenem Gusto zu bewerten.

Dabei nimmt man solche Kriterien zu Hilfe wie „Ist dieser Mensch seiner persönlichen Art nach glaubwürdig? Ist er ein Aufschneider? Oder bescheiden? Macht er auf mich einen redlichen Eindruck? Erklärt er seine Argumente?“ usw.

Das sind keine schlechten Kriterien, aber auch keine ganz sicheren. Es gibt ja Menschen, die sich in aller Bescheidenheit irren, und solche, die unerträglich eitel sind, aber Recht haben. In der Regel ist es schon merkbar, ob jemand von dem, was er verkündet, eigentlich etwas versteht. Aber zuweilen eben nicht.

Deshalb bilde ich mir als medizinischer Laie nicht ein, genau beurteilen zu können, was Ärzte und Forscher zum Thema Corona sagen. Und deshalb stelle ich mich darauf ein, nicht planen zu können. Es kann noch einen Monat dauern oder ein Jahr. Es kann 70% Infizierte geben oder nur 40%. Es kann ein Fünftel der Infizierten sterben oder weniger oder mehr.

Weil aber gewisse Argumente mich doch überzeugen, und weil ich auch sehe, was unzweifelhaft passiert (z.B. in Italien), stelle ich mich auf Folgendes ein:

Sollte das, weswegen ich jetzt in Quarantäne bin, Corona sein, bin ich vermutlich auf längere Sicht immun, sobald das durchgestanden ist.
Sollte es ein abklingender Husten der normalen Art sein, werde ich mich irgendwann auch noch mit Corona infizieren (und wieder in Quarantäne müssen).
Irgendjemand, den ich kenne, wird einen schweren Verlauf durchmachen, vielleicht auch sterben.
Mehrere, die ich kenne, werden leichte Verläufe durchmachen.
Sollte ich in der nächsten Zeit aus irgendeinem Grund ins Krankenhaus müssen (man kann sich ja immer noch ganz normal ein Bein brechen oder herzkrank werden!), wird das problematisch.

Es wird auch in Berlin Ausgangssperren geben, nachdem zahlreiche Berliner bewiesen haben, daß sie dumm, hochmütig und verantwortungslos sind.
Der Senat kann schlimmstenfalls beschließen, daß Putzen keine lebenswichtige Arbeit ist. (Wäre ich noch ein Teenager, würde ich lässig zustimmen.) Damit würde weit über die Hälfte meines monatlichen Einkommens wegfallen.
Ich kann auch ein zweites Mal und mit schwereren Symptomen in Quarantäne kommen. (Da ginge dann nach den Überstunden auch mein regulärer Urlaub drauf.)
Ich darf mein Patenkind nicht sehen, geschweige denn in den Arm nehmen.

Das ist mir alles klar, und wisst Ihr was? Das verdirbt mir die Laune nicht. Natürlich sorge ich mich und bin traurig. Zugleich aber freue ich mich. Es ist Sonntag, ich fühle mich gesund, sitze beim Kaffee in meiner schönen Wohnung und kann nachher die Heilige Messe meiner Heimatgemeinde im Livestream verfolgen, habe nicht nur Gas, Strom und Wasser, sondern auch wundervolle Freunde, die mir helfen. Ich konnte gestern selbst einem jungen Paar helfen durch telephonische Erklärung eines Behördenbriefes.

Ja, das Leben ist jetzt schwerer als sonst. Arbeit, Kirche, Freizeit, Freundschaft, Familie, alles unterliegt starken Einschnitten. Dies alles dient dazu, die Ausbreitung des Virus zu hemmen.

Keiner, der nach 1920 geboren ist, hat schon einmal eine weltumspannende Seuche dieser Gefährlichkeit erlebt. Also verlangt bitte nicht von Politikern im Alter unter 100 Jahren, daß sie präzise wissen, wie man damit umgeht, und alles richtig machen.

Andererseits hat keiner, der über acht Jahre alt, normal intelligent und alphabetisiert ist, irgendeine Entschuldigung, wenn er sich jetzt nicht die Hände wäscht und keine Distanz hält. Coronaparties oder kuschelige Kaffeekränzchen in dieser Zeit sind in meinen Augen so gut wie fahrlässige Tötung.

Reißt Euch zusammen! Bleibt zu Hause, wenn es geht. Macht keinen einzigen überflüssigen Weg. Schützt Euch und andere. Helft den Hilfsbedürftigen, so gut Ihr könnt, aber umarmt sie nicht. Im übrigen schreibt Briefe, ruft Eure Freunde und Verwandten an, folgt den Fernsehgottesdiensten, betet.

Ich schließe mit Mt. 13,51.

Über Claudia Sperlich

Dichterin, Übersetzerin, Katholikin. Befürworterin der Vernunft, aber nicht in Überdosierung.
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6 Antworten zu Reißt Euch zusammen!

  1. Xeniana schreibt:

    Ich wünsche dir gute Besserung und stimme dir in allen Punkten , bis auf einen. Und die Nachfrage ist ernst gemeint. Ich verstehe nicht, warum stay at Home, bedeutet nicht in die Natur hinaus gehen zu können. Jedenfalls verstehe ich das unter der Formulierung: keinen überflüssigen Weg. Man kann ja Abstand halten oder in wenig frequentierte Gebiete gehen

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    • Claudia Sperlich schreibt:

      Da hast Du recht – sofern es wenig frequentierte Gebiete in der Nähe gibt, was in Großstädten nicht immer der Fall ist. Und sofern man nicht, wie ich gerade, in Quarantäne ist… aber das ist eh klar.
      Tatsächlich muss ich jetzt auch mal schauen, wie ich meinen ollen Körper irgendwie beweglich halte. Ich werd vielleicht mal die Hanteln wieder vorholen, die ich vor langer Zeit besorgte.

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  2. gerd schreibt:

    „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!“

    F.J. Strauss

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  3. Wolfram schreibt:

    Zustimmung. Aber wieso geht Quarantäne auf die Urlaubs- und Überstundenkonten? Das ist wie eine Krankschreibung zu behandeln, meiner Meinung nach (und wird hier in Frankreich auch so gehandhabt).

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    • Claudia Sperlich schreibt:

      Weil leider die meisten Arbeitgeber sich das schlicht nicht leisten können. Ob es in diesem Fall möglich wäre, kann ich nicht beurteilen – aber ich nehme es hin. Auch deshalb, weil es mir schlicht nicht wichtig genug ist, einen aufreibenden Kampf darum auszufechten.

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